Weltfrauentag – Warum ich auch heute noch für diesen Tag, den Equal Pay Day und eine Frauenquote bin
Heute am 8. März 2024 ist gleichzeitig Weltfrauentag. Und gestern erst habe ich mich intensiv mit meinem Sohn über die Frauenquote unterhalten. In seiner Welt findet er sie überflüssig. Was ich auch gut verstehen kann, denn er ist – ganz anders als ich – in einer urbanen, moderneren, offeneren, wenn auch nicht perfekten Welt aufgewachsen. Und er ist ein Mann. Für ihn sind alle Menschen gleich, und alle haben dieselben Chancen, unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft etc. Das ehrt ihn sehr, entspricht aber leider nicht der Realität.
Ich sehe das als Frau, Mutter, Erstakademikerin in der Familie, Dorfkind und Babyboomer naturgemäß differenzierter. Und ich bin deshalb dafür, dass es den Weltfrauentag, den Equal Pay Day oder die Frauenquote weiterhin gibt. Warum? Das liest du heute:
Gender Pay Gap und Equal Pay Day
Solange Frauen bei gleicher Leistung wegen ihres Geschlechtes schlechter bezahlt werden als Männer, brauchen wir geeignete Instrumente und Anlässe, die dem entgegenwirken können und darauf aufmerksam machen, dass es diese Ungerechtigkeit gibt. Bis zum 6. März 2024 arbeiten die Frauen „umsonst“, während Männer bereits seit dem 1. Januar 2024 Geld verdienen.
Und solange dieser Gehaltsunterschied, egal ob bereinigt oder unbereinigt, besteht, sind solche Gedenk-, Kampagnen- und Aktionstage für mehr Geschlechtergerechtigkeit sinnvoll und notwendig.
Unbezahlte Care-Arbeit
Solange die „Gesellschaft“ es noch immer normal findet, dass viel mehr Frauen als Männer in Teilzeit arbeiten, bei Bedarf unbezahlte Care-Arbeit leisten und dadurch auch noch von Altersarmut und dem Gender Pension Gap betroffen sind, braucht es Aufmerksamkeit.
Gleichzeitig muss die Politik sich für die notwendige Infrastruktur einsetzen, damit sich das ändern kann. Z. B. die korrekte Einhaltung des seit 2006 geltenden „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) besser kontrollieren oder genug, verlässliche und vor allem bezahlbare Kinderbetreuungs- und Pflegeplätze schaffen.
Bessere Bezahlung von pädagogischen Fachkräften und Pflegenden
Solange die Berufe im Erziehungs- und Pflegebereich im Vergleich zu Verantwortung und Wichtigkeit dieser Tätigkeiten – es geht schließlich um die Generationen von morgen! – weiterhin schlecht bezahlt werden, braucht es Aufmerksamkeit. denn: Pflege in Deutschland ist überwiegend weiblich.
Freiwillig werden erfolgsorientierte Männer solche Berufe nicht ergreifen, und auch immer mehr Frauen haben verständlicherweise keine Lust mehr auf diese Belastung, ohne einen gerechten Lohnausgleich und bessere Arbeitsbedingungen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Solange die Frauen die Kinder bekommen (müssen) – und in den allermeisten Fällen auch erziehen – braucht es Aufmerksamkeit und vor allem neue Möglichkeiten in der Berufswelt, beides ohne Risiko und Nachteile miteinander vereinbaren zu können. Bisher ist eine Entscheidung für Kinder im Wesentlichen mit einer Benachteiligung der Frauen bei Verdienst, Karrieremöglichkeiten, Vermögensbildungund Rentenbezügen verbunden. Da muss sich noch viel ändern!
Berufswahl und Leitungsposten: Hin zu „die Führungskraft“
Solange es Frauen in sog. „Männerjobs“ (Finanzwesen, Polizei, Bundeswehr, Vorstände, Industrie, Bauwesen, Medizin, …) noch immer schwerer haben, genauso akzeptiert und beurteilt zu werden wie Männer, ist die Frauenquote zumindest ein adäquates Mittel, hier einen Unterschied zu machen und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, genauer hinzuschauen bei Auswahl und Einstellung.
Frauen in Leitungs- und Führungspositionen sind noch immer in fast allen Branchen in der Minderheit. Genau deshalb haben Korina Dielschneider und ich bereits am 1. April 2021 jede einen Beitrag veröffentlicht und eine Petition ins Leben gerufen – die trotz des scherzhaften Datums ein Quäntchen Wahrheit enthält:
Warum heißt es eigentlich „die Führungskraft“?
Die Führungskraft ist eine Mogelpackung
Zur Petition
Erziehung und Sozialisation: „Lebendig begraben“ unterm Rollenbild
Nicht umsonst gibt es seit Jahren die verstärkte Werbung und Förderung für die sog. MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), oder die Aktion GirlsDday und BoysDay. Auch meine Kinder haben in der Schule an letzteren teilgenommen. Ziel ist es, als Mädchen mal in einen typischen Männerberuf reinzuschnuppern und umgekehrt. Denn Fakt ist: Mädchen und Jungen orientieren sich aufgrund ihrer Erziehung und persönlichen Interessen auch heute noch immer für die vermeintlich geschlechtstypischen Berufsmöglichkeiten, obwohl sie heute i. d. R. mehr Chancen haben, etwas anders zu machen.
Das war in meiner und der Generation meiner Eltern und Großeltern noch ganz anders, solche Chancen und Möglichkeiten hatten wir oft gar nicht. Und das steckt heute – bewusst oder unbewusst – noch immer in vielen Köpfen.
Meine persönliche Erfahrung mit dem „alten“ Frauenbild
Meine persönlichen Berührungspunkte sind aus heutiger Sicht eigentlich unfassbar, waren aber traurige Realität – hier meine Beispiele:
- Meine Mutter musste einen „richtigen“ Beruf (Buchhalterin) erlernen, den gewünschten (Friseurin) hat mein Opa ihr verboten.
- Meine Mutter war das älteste von drei Kindern, den Bauernhof jedoch hat – wie es auch heute noch immer oft üblich ist bei Hof- oder Unternehmensnachfolgen – ihr kleiner Bruder geerbt. Während sie und meine Tante mit einem vergleichsweise kleinen Erbe abgespeist wurden, denn ein gerechter Anteil für alle drei Kinder hätte den Hof ruiniert.
- Als ich in der 4. Klasse als erste in meiner Familie die Gymnasialeignung erreichte, war meine Mutter nicht begeistert, sie hätte es lieber gesehen, wenn ich nach 10 Jahren Schule eine Ausbildung begonnen und schnell Geld verdient hätte – denn eine Heirat würde ja logischerweise auch bald folgen …
- Als ich nach dem erreichten guten Abitur mit 19 Jahren studieren wollte, war auch hier die Verärgerung größer als der Stolz: Zum einen bekam ich nun den väterlichen Unterhalt selbst und dieser fiel für sie und ihren Lebensunterhalt als Geschiedene weg. Zum anderen hielt sie ein Studium für Frauen und dann noch „brotlose Germanistik“ für völlig abwegig und unnötig. Gut, dass mich die Familie meines damaligen Freundes bestärkt und unterstützt hatte, so konnte ich diesen Weg gegen alle Widerstände und trotz einer nicht unerheblichen finanziellen Unsicherheit trotzdem gehen – und erfolgreich beenden.
- Meine Schwiegermama musste unmittelbar nach der Hochzeit aufhören zu arbeiten, obwohl es ihr Spaß machte und sie erst Jahre später schwanger wurde. Mein Schwiegervater hat es verboten, und das Gesetz damals gab ihm recht.
- Das Scheidungsrecht, das erst in den 70ern reformiert wurde und vom zu beweisenden Schuldprinzip zum Zerrüttungsprinzip umgestellt wurde, hat die Frauen damals extrem benachteiligt. Aus finanzieller Sicht konnte sie sich meist gar nicht scheiden lassen und war komplett abhängig von ihrem Ehemann. Meine Mutter musste nach der 1. Scheidung von meinem biologischen Vater mit mir – ich war noch ein Baby – zurück zu ihren Eltern ziehen. Wieder arbeiten konnte sie nur, weil meine Großeltern, Tante und mein Onkel sich um mich kümmern konnten. Und ausziehen konnte sie erst wieder, als sie – genau: zum 2. Mal heiratete.
Frauen und Politik
Das Frauenwahlrecht wurde zwar schon 1918 in Deutschland eingeführt, aber bis Frauen tatsächlich gleichberechtigt auch über ihr Geld, ihr Leben oder ihren Beruf entscheiden durften, vergingen viele Jahrzehnte. Bis heute ist der Anteil der Frauen in der Politik deutlich gestiegen (Danke an die Frauenrechtlerinnen und Sufragetten) – und trotzdem bleibt viel Luft nach oben.
Solange Frauen weltweit in nationalen Parlamenten nach wie vor unterrepräsentiert sind, ist der Weltfrauentag notwendig: Zum Stichtag 1. Februar 2024 lag der Frauenanteil im Deutschen Bundestag bei 35,3 %, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) anlässlich des Internationalen Frauentages heute am 8. März mitteilt. Im weltweiten Ranking der Interparlamentarischen Union (IPU) nahm Deutschland damit Platz 47 von 184 ein.
Frauen in der Werbung
Wer sich Werbung anschaut, findet auch heute noch immer Sexismus und Diskriminierung, wenn auch nicht mehr so oft und so offensichtlich. Und die Werbung aus den 50ern war aus heutiger Sicht so richtig gruselig, wie die amerikanische Soziologin Betty Friedan 1966 (mein Geburtsjahr!) in ihrem Buch „Der Weiblichkeitswahn: oder Die Selbstbefreiung der Frau: Ein Emanzipationskonzept“ feststellte:
Ende der Fünfzigerjahre fand sie „nicht eine einzige“ weibliche Werbefigur, die einen Beruf hatte „oder auf irgendeine Weise in einer Arbeit, Kunst, geistiger Tätigkeit oder Aufgabe in der Welt engagiert war“.
Das Schockierende: 1939 waren die weiblichen Figuren in den Magazinen noch „glückliche, stolze, unternehmungslustige, attraktive, berufstätige Frauen“ gewesen. Gut zwei Jahrzehnte später jedoch, so Friedan, seien Millionen Frauen dank des Weiblichkeitswahns „lebendig begraben“.
Quelle: Spiegel online, Beitrag aus 2014, abgerufen am 7.3.2024
In einer Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte stolperte ich vor einigen Jahren selbst über diesen Werbespruch aus den 50ern:
Eine Frau hat zwei Lebensfragen: Was soll ich anziehen, und was soll ich kochen? (Dr. Oetker)
Quelle: Spiegel online, Beitrag aus 2015, abgerufen am 7.3.2024
Sprache prägt das Denken und Handeln – darum gendere ich
Das Thema Gendern bewegt mich, seit ich 2021 angefangen habe, wieder regelmäßig zu bloggen – genau deshalb gibt es eine eigene Kategorie auf meinem Blog. Begonnen hat es übrigens mit dem Aufruf zu meiner ersten eigenen #BlogparadeGendergerechtigkeit im März 2021 anlässlich des Weltfrauentags. Hierzu sind 13+1 spannende Beiträge eingereicht worden, die ich zusammengefasst habe. Danach folgten viele weitere Auseinandersetzungen mit dem Gendern, z. B.:
- Kürzlich wurde der medizinische Warnhinweis – endlich – gegendert. Was ich davon halte, liest du hier: Zu Risiken und Nebenwirkungen … des Genderns
- Mein Aprilscherz 2023 hat viele in die Irre geführt: Ich entgendere mich!
- Aufregen kann ich mich immer wieder über Menschen, die das Gendern für unwichtig, lästig und überflüssig halten und über Frauen, die sich „mitgemeint“ fühlen. Dabei ist Gender Bias, also die geschlechtsbezogene und verzerrte Wahrnehmung durch sexistische Vorurteile und Stereotype, bewiesen. Oder stellst du dir bei den Worten Arzt oder Unternehmer eine Frau vor? Darüber musste ich einen „Aufreger“ verfassen: „Ich habe mich immer mitgemeint gefühlt“ – Warum mir diese Aussage von Gender-Gegner:innen den Blutdruck hochtreibt
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Sexualisierte Gewalt gegen Frauen
Solange Frauen noch immer häufiger Opfer von sexualisierter Gewalt sind, ist auch der Weltfrauentag noch immer relevant und wichtig. Weltweit leiden Frauen unter Willkür, Diskriminierung und sind oft genug vom Tod bedroht. Das eine Beispiel aus dem Iran, zu dem ich am Frauentag in 2023 einen Beitrag verfasst habe, steht stellvertretend für die multiple Gewalt gegen Frauen: „Frau, Leben, Freiheit”: Meine Stimme für die Frauen und Mädchen im Iran
Fazit
Diese Beispiele zeigen, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, bis Frauen in Deutschland und überall auf der Welt wirklich gleichberechtigt leben können. Und solange das so ist, brauchen wir meiner Meinung nach den Weltfrauentag, den Equal Pay Day, die Frauenquote und das Gendern. Auch Korina Dielschneider, Coach für die Lebensmitte, sieht das so – ihr heutiger Newsletter „buntbrief“ enthält viele Zahlen und Fakten zum heutigen Frauentag und Status Quo.
Was ist deine Meinung? Verrate mir bitte im Kommentar unter diesem Beitrag oder per Mail an nicole [at] projekttext.com, was du dazu denkst.
JEDER TAG FRAUENTAG
Ohne Frauen läuft nichts auf der Welt,
wär’s um unser Dasein schlecht bestellt.
Nicht nur in Dienstleistung und Pflege
bringen Frauen Großes zuwege.
Doppelstress in Beruf und Haushalt,
Karriere gebremst und mies bezahlt;
Kinder großgezogen – am Ende
stehen Armut und Mini-Rente.
Weltweit und seit ewigen Zeiten
müssen Frauen Gewalt erleiden.
Männer traktieren sie mit Worten –
drangsalieren, schlagen und morden.
Frauen teils wie Sklaven gehalten,
keine Chance mitzugestalten;
unter religiösen Zwang gestellt
in vielen Gegenden dieser Welt.
Von Gleichberechtigung keine Spur,
dafür sexistische Unkultur.
Für Frauenrechte einzutreten
ist essenziell auf dem Planeten.
Die Männer sonnen sich an der Macht,
Klimacrash und Kriege hat’s gebracht.
Mit feministischer Politik
dem Frieden näher rücken ein Stück.
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen
Dankeschön für deine poetischen Gedanken zum Frauentag, und viele Grüße vom Rhein!
Pingback: KW10/2024: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society
Liebe Nicole,
Recht hast du! Und danke für diesen Artikel.
Neulich las ich einen Artikel über das Gehalt von Pharmazeutische technischen Personal. Es arbeiten eigentlich nur Frauen in diesem Job. Nur ganz wenige Männer machen ihren Abschluss auf einer PTA Schule und arbeiten dann in der Apotheke. Dennoch bekommen sie rund 500€ mehr Gehalt !
Herzliche Grüße, Birgit
Liebe Birgit,
das ist doch verrückt. Warum ist das so, und wer legt das fest? Ich finde da könnten doch alle Frauen auch mal streiken, um darauf aufmerksam zu machen?! Und wir müssen lernen, besser zu verhandeln.
Danke für deinen wichtigen Hinweis und
viele Grüße.
Nicole
Liebe Nicole, vielen Dank für diesen sehr umfassenden, informativen und eindrucksvollen Artikel, der definitiv nachhallt. Mich hat besonders die Passage mit den persönlichen Beispielen berührt – weil es sich so absurd anhört aber leider trotzdem Realität ist. Grund genug, dass wir alle in unserer Generation uns weiterhin für Gendergerechtigkeit einsetzen.
Liebe Evelyn,
ja, beim Schreiben meiner persönlichen Touchpoints ist mir erst wieder so richtig bewusst geworden, wie schwer es Frauen immernoch haben und wie stark sich diese Stereotype auch in nachfolgenden Generationen festsetzen. Wenn wir das bei unseren Kindern besser machen und weiterhin bei jeder Gelegenheit den Finger in die Wunde legen, haben wir schon viel geschafft. Danke für deinen Kommentar!
Viele Grüße
Nicole