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„Frau, Leben, Freiheit”: Meine Stimme für die Frauen und Mädchen im Iran

Heute am 8. März wird der internationale Frauentag zum 112. Mal gefeiert. Als Texterin mit Herz und Haltung habe ich dazu natürlich eine Meinung: Schlimm genug, dass er noch immer nötig ist, dieser Frauentag.

Ziel und Hauptforderung war das Frauenwahlrecht. Damit war der Internationale Frauentag offiziell ins Leben gerufen. Am 19. März 1911 fand daraufhin in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA der erste Internationale Frauentag statt. 1921 wurde sein Datum durch einen Beschluss der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau endgültig auf den 8. März gelegt.

Wikipedia

Schlimm genug auch, dass in unserer sog. Freien Welt auch heute noch immer eklatante Unterschiede zwischen Männerprivilegien und Frauenrechten bestehen – in Bezug auf Gender Pay Gap, Gender Pension Gap oder unterschiedliche Karrierechancen, um nur die für mich wichtigsten Geschlechter-Diskriminierungen zu nennen. Je nach Region und Branche variiere der Gehaltsunterschied zwischen über einem Prozent und knapp 40 Prozent, so die Nachrichten zum gestrigen Equal Pay Day. Damit hat der Frauentag für mich noch immer seine Berechtigung.

Doch heute möchte ich den Blick weg von mir, von uns in Deutschland lenken, hin zu Ländern und Gesellschaften, in denen es für Frauen um ganz andere, noch viel existenzielle Probleme geht.

Frau

Denn immerhin sind wir Frauen hier frei. Immerhin leben wir in einer Demokratie.

  • Wir können wählen, mitentscheiden, demonstrieren – so wie letzten Freitag in Bonn, als es nicht nur ums Klima, sondern auch um faire Bezahlung, Mobilität, Iran oder Feminismus ging.
  • Wir dürfen lernen, lehren oder arbeiten.
  • Wir dürfen reisen, radfahren, allein auf die Straße gehen.
  • Wir dürfen ohne Schleier mit offenen Haaren feiern, tanzen und die Kleidung tragen, die wir mögen.
  • Dürfen lieben, wie wir wollen.
  • Dürfen heiraten, wen wir wollen, und uns wieder scheiden lassen.
  • Dürfen unser Geschlecht wählen.

Kurz: Wir dürfen ein weitgehend freies und selbstbestimmtes Leben führen. Insofern geht es uns trotz der nicht zu 100 Prozent gelebten Gleichberechtigung hierzulande gut. Sehr gut sogar. Denn Selbstbestimmung und Freiheit sind mir persönlich tatsächlich sehr viel wichtiger als Geld. Kannst du dir vorstellen, all das aufzugeben? Das eigenständige Denken, Fühlen, Freisein???

In vielen Ländern und Gesellschaften dieser Erde ist genau das der Fall. Freiheit ist dort die Freiheit der entscheidenden Mächte, und die sind i. d. R. männlich, engstirnig, fundamentalistisch und rückwärts gewandt.

Ganz besonders schlimm ist es, wenn sich eine vermeintlich demokratische Entwicklung plötzlich in ihr Gegenteil verkehrt und durch Diskriminierung, Gewalt und fundamentalistischen Hass Menschen eingesperrt oder gefoltert werden oder sogar sterben. So wie seit der Machtübernahme der Taliban 2021 in Afghanistan oder durch die sog. Sittenwächter in Iran.

Leben

In vielen Ländern und Gesellschaften ist das Leben von Mädchen und Frauen wenig wert bzw. wird zu 100 Prozent von Männern definiert und bestimmt. Es gibt zwei bedeutende Bereiche, die – schlimm genug – in Teilen auch noch in unserer westlichen Welt zutreffen. Doch glücklicherweise längst nicht so existenziell wie in Ländern wie Afghanistan oder Iran.

Offene und nicht sanktionierte Gewalt gegen Mädchen und Frauen

Genitalverstümmelung, Kinder- bzw. Zwangsehe, Vergewaltigung, Missbrauch, ja sogar Vergiftungen, gehören dort zum Alltag von Frauen. Und niemand steht für sie ein – es sei denn, sie setzen sich selbst zur Wehr.

Ein Film, der mich vor einigen Jahren sehr betroffen gemacht hat, heißt „Kairo 678“. Er ist quasi als Protestschrei zu verstehen, der auf konkret verbürgten Fällen basiert – von der sexuellen Belästigung im Bus bis zur vollzogenen Vergewaltigung. Unfassbar im 21. Jahrhundert, denkt man …

Kein Recht auf Bildung und Selbstbestimmung

Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan – und seit September 2022 auch in Iran – sind Mädchen und Frauen von der öffentlichen Teilhabe ausgeschlossen. Der Zugang zu weiterführenden Schulen und Hochschulen ist ihnen untersagt. Presse- und Meinungsfreiheit sind stark eingeschränkt, es besteht kein Recht auf faire Gerichtsverfahren. Regelmäßige Kontrollen, Razzien und Festnahmen sind gängige Mittel, um die Menschen in Iran unter Druck zu setzen. Grundlegende Menschenrechte von Frauen, aber auch Männern, werden in der Islamischen Republik nach Angaben von Organisationen wie Amnesty International systematisch verletzt.

Jetzt hat sich etwas geändert: In Iran demonstrieren seit über sechs Monaten vor allem jüngere Männer und Frauen gegen die öffentliche Verschleierungs-Pflicht und gegen die staatliche Diskriminierung der Frau. Mit Protesten enormen Ausmaßes gehen diese Menschen in Iran auf die Straße und erheben unter Lebensgefahr ihre Stimmen gegen das sie unterdrückende Regime. Sie verbrennen ihre Schleier, schneiden ihre Haare ab, rufen: „Nieder mit der Diktatur“ und „Jin, Jîyan, Azadî“, auf Deutsch „Frau, Leben, Freiheit“.

Freiheit

Die feministische, kurdische Parole ist mit voller Absicht auch die Überschrift meines Beitrags. Denn Frauen führen kein freies Leben im Iran. Und die Menschen wehren sich jetzt – endlich. Nie zuvor wurde ihr – der Frau – in Iran eine so breite Unterstützung zuteil, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Alter und Schicht.

Warum jetzt? Auslöser der landesweiten Massendemonstrationen in Iran ist die 22-jährige Jîna Mahsa Amini (Emînî). Genauer: Der Tod der iranischen Kurdin, die im September 2022 von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden war, später in der Haft ins Koma fiel und drei Tage nach ihrer Festnahme starb. Ihr Vergehen: Ihr Kopftuch habe ihr Haar nicht vorschriftsmäßig bedeckt.

Seither protestiert die junge Generation immer stärker gegen das Regime – mit Aktionen auf den Straßen und im Netz. Denn ein vom Staat kontrolliertes Leben ist für sie keine Option mehr.

Demonstration Europa Solidarität Iran
FOTO: ARTIN BAKHAN/UNSPLASH

Auch bei uns in Europa gehen Menschen zum Zeichen der Solidarität für die Protestbewegung „Frau Leben Freiheit“ auf die Straße, viele mit ausgedruckten Illustrationen aus dem Netz oder Bildern von Jîna Mahsa Amini.

„Baraye Azadi” – „Für die Freiheit”

Die vermutlich erfolgreichste Online-Protestaktion in Iran ist das Lied „Baraye“ des Sängers Shervin Hajipour („Baraye Azadi” – „für die Freiheit”). Es ist quasi zur Hymne der massiven Protestbewegung geworden und wird auf Demonstrationen weltweit gespielt. Für den Sänger ist es zur Gefahr geworden: Er wurde inhaftiert, kam auf Kaution wieder frei und distanzierte sich von seinem Lied – vermutlich unter massiven Drohungen.

Die Kunst des Protestes

Im Netz wird der Widerstand trotz widrigster Umstände in vielen anderen, auch kreativen Formen sichtbar, z. B. durch Illustrationen des iranischen Künstlerinnen-Kollektivs „Iranian Women of Graphic Design“, die die Unterdrückung der Frauen sichtbar machen. Die Dateien sind frei verfügbar, jede*r kann sie verschicken, mit dem Hashtag #WomenLifeFreedom posten, liken – oder ausdrucken, um sie auf Plakatwände zu kleben oder auf Demonstrationen zu verteilen.

Mahdis Nikou (England)

„In dieser Situation ist es die Aufgabe der Kunst, zu den Menschen zu sprechen. Diese Sprache kann effektiver sein als Worte”, so eine iranische Künstlerin. „Es ist an der Zeit, unsere Worte, unsere Forderungen herauszuschreien, und wir brauchen die Unterstützung der Welt, damit unsere Stimme laut wird.”

Dystopie einer Gesellschaft

In ihrem Buch „Mein Iran“ erzählt Shirin Ebadi von dem Morgen, als sie aus der Tageszeitung erfuhr, wie sich das aller Frauen in Iran radikal verschlechtern würde. Der Entwurf des neuen, islamischen Strafgesetzbuches soll die Moralvorstellungen der Machthaber sichern, indem die Frau zur rechtlosen, „gesetzlichen Habe“ wird, während ihr Mann eine „Person“ mit Rechten bleibt:

  • Das Leben einer Frau ist nur die Hälfte des Lebens eines Mannes wert.
  • Stirbt eine Frau bei einem Autounfall, erhält ihre Familie nur die Hälfte der finanziellen Entschädigung wie die Familie eines Mannes.
  • Vor Gericht braucht man zwei Frauen, um die Aussage eines Mannes aufzuwiegen.
  • Frauen benötigten die Erlaubnis ihres Mannes, um sich scheiden zu lassen.

Das macht ebenfalls deutlich, warum die Demütigung und Entrechtung aller Frauen im Iran so stark bekämpft wird, die Wut so grenzenlos ist, der Mut der Menschen, Frauen, Männer, LGBTIQ-Personen so groß ist und sie nun protestieren lässt. Auch wenn es sie ihre Freiheit und ihr Leben kosten kann. Doch sie wissen, dass ihnen etwas viel Wertvolleres genommen wird, wenn sie es nicht tun. Das Recht auf persönliche Freiheit und ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben – nicht Existieren.

Akram Esmaili (Istanbul)

Und so zeige ich mich am heutigen internationalen Frauentag solidarisch mit den Frauen, Mädchen und Menschen in Iran, leihe ihnen meine Stimme und meinen Blog, in der Hoffnung und im Vertrauen darauf, dass LEBEN und FREIHEIT zukünftig für alle Menschen auf der Welt gilt. Und mir mehr wert ist als gleiches Geld für gleiche Leistung. Das darf sich selbstverständlich auch bald ändern. 🙂

Ein solcher Umbruch dauert vermutlich Jahre, eher Jahrzehnte. Doch das Nutzen von soziale Medien, Kunst und Kultur sowie eine unterstützende Außen- und Entwicklungspolitik der westlichen Länder können helfen.

Und du natürlich auch – indem du diesen Beitrag und/oder die Grafiken der iranischen Künstlerinnen teilst.

Auf die FRAUEN , das LEBEN, die FREIHEIT!

Nicole Isermann

Nicole Isermann steht für Text, Redaktion, Content und PR mit Herz und Haltung! Mit Einfühlungsvermögen verfasst und bearbeitet die Wahlbonnerin Texte, die ankommen, berühren und Mehrwert liefern - am liebsten für Soloselbstständige mit echtem Herzens-Business. Ihre Lieblingsthemen sind Essen & Trinken, Lesen & Schreiben, Reisen & Kultur, Natur & Umwelt oder Engagement & Lernen. In den kreativen Schreibfluss findet Nicole u. a. mit ihren kreativen Elfchen und Zelfchen. Wenn sie nicht schreibt, engagiert sie sich ehrenamtlich für Kultur-, Kirchen- und soziale Projekte.

14 Gedanken zu „„Frau, Leben, Freiheit”: Meine Stimme für die Frauen und Mädchen im Iran

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  • Pingback: #12von12 im März 2023: Voller Vorfreude auf eine sonnige Auszeit - Nicole Isermann

  • Liebe Nicole,
    vielen Dank für deinen wichtigen Artikel mit den tollen und ausdrucksstarken Bildern, der auf die Situation der Frauen im Iran aufmerksam macht.

    Antwort
    • Liebe Anette, Dankeschön! Die Bilder finde ich auch ganz toll und hoffe, dass sie oft geteilt werden.
      Liebe Grüße
      Nicole

      Antwort
  • Viktoria

    Liebe Nicole, das ist ein toll geschriebener und inhaltlich wichtiger Artikel! Chapeau! Eine besondere Entdeckung ist für mich natürlich der Link zu den Illustrationen der iranischen Künstlerinnen. Danke dafür, die Seite kannte ich noch nicht. Weiter so und liebe Grüße, Viktoria

    Antwort
    • Liebe Viktoria, wie schön, dass du so begeistert bist von meinem Schreibstil, den Grafiken und dem Thema. Das freut mich sehr! Danke für deinen tollen Kommentar hier. Gemeinsam können wir mir dem Teilen der kreativen Grafiken für mehr Sichtbarkeit sorgen, das ist ja Mindeste, was in unserer Macht steht. Liebe Grüße
      Nicole

      Antwort
  • Liebe Nicole, danke für diesen wichtigen Artikel. Sauber recherchiert, packend geschrieben und mit schönen Bildern untermauert. Was will das Bloggerinnen-Herz mehr. Auf die Freiheit!

    Antwort
    • Liebe Barbara-Mira, danke dir für deine schöne Rückmeldung. Ich freue mich sehr, dass du ihn packend geschrieben findest – so wird er hoffentlich von vielen weiteren Menschen gelesen werden. ☺️ Schätzen wir die Freiheiten, die wir schon haben, und erheben unsere Stimmen für die, die sie zu verlieren drohen. ✊🗯️

      Antwort
  • Liebe Nicole,
    das ist ein fantastischer Artikel! Danke dafür, dass du einem Teil meiner Fassungslosigkeit (und der vieler anderer) eine Stimme und starke Bilder gibst! Unglaublich, dass all diese Untaten in der angeblich aufgeklärten Welt noch möglich sind und ignoriert werden. Solange all dies noch passiert, sehe ich den Weltfrauentag nicht als einen Feiertag an.

    Antwort
    • Liebe Silke,
      ja, das war mir heute ein Bedürfnis. Genau deshalb brauchen wir diesen Frauentag immer noch. Und nein, mit Feiern hat das leider (noch) nichts zu tun – hoffen wir, dass sich das noch zu unseren Lebzeiten ändern. 🙏 Danke für dein schönes Feedback.
      Liebe Grüße
      Nicole Isermann

      Antwort
  • Vielen Dank, liebe Nicole, für diesen tollen und unglaublich wichtigen Blogbeitrag.

    Antwort
    • Dankeschön, ich freue mich, dass du das ebenso siehst. Grundsätzlich geht es uns hier eben echt gut, wenn auch längst nicht alles perfekt ist. Danke dir und
      viele Grüße
      Nicole

      Antwort
  • ❤️
    So viele Herzen für deinen Blogartikel, Nicole! Die Situation im Iran macht mich so fassungslos, so wütend! Wie KANN ein normaler Mensch diese Unterdrückung der Frauen gutheißen? Wie KANN ein empathischer Mensch so etwas wollen? Das ist einfach nur unmenschlich.

    Antwort
    • Genau das verstehe ich auch nicht. Für mich stellt es sich so dar, dass die ewig gestrigen Männer dort einfach zu wenig Selbstbewusstsein haben und sich vor den starken und selbstbewussten Frauen und Menschen fürchten. Verlustangst, eigene Unterdrückung, am Gewohnten festhalten, zu religiös sein …?! All das zementiert vermutlich eine altmodische bis menschenverachtende Haltung. Unfassbar. „Mehr Mut auch für euch“, möchte man ihnen zurufen.

      Antwort

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