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Sprache prägt. Bildsprache auch. Brauchen wir (noch) mehr Gendergerechtigkeit?

Seit ich wieder regelmäßig blogge, setze ich mich naturgemäß noch intensiver als vorher mit der Schriftsprache auseinander. Insbesondere auch mit dem Thema „Gendergerechte Sprache“.

Gendergerechtigkeit – ja, nein, vielleicht, ein bisschen, 100%?

Ich gestehe: Ich bin ständig hin- und hergerissen: Denn einerseits liebe ich klare und auf den Punkt formulierte Texte. Und das dauernde Gendern mit wahlweise beiden Formen, dem Sternchen, einem Binnen-i oder dem Doppelpunkt nervt mich oft, lenkt mich vom eigentlichen Inhalt ab und stört meinen Schreib- bzw. Lesefluss.

Andererseits bin ich als Frau und Fachjournalistin natürlich darauf bedacht, nicht nur wohlwollend „mitgemeint“ und „mitgedacht“, sondern tatsächlich präsent zu sein und aktiv und vor allem korrekt angesprochen zu werden. Sprache prägt schließlich unser Denken, unsere Ausdrucksweise, unsere Wahrnehmung und unser Empfinden. Und weil es so viele Jahre lang ausschließlich das generische Maskulinum gab und heutzutage sicher viele weit ernstere Probleme zu lösen sind, heißt das noch lange nicht, dass wir nicht auch hier weiterdenken und uns weiterentwickeln dürfen, oder?

Wie viel Gendergerechtigkeit ist genug?

Ein echtes Dilemma! Ich glaube: Eine gendergerechtere Sprache – und damit ein Bewusstsein für eindeutige und wertschätzende Bezeichnungen – ist definitiv notwendig! Aber bis zu welchem Grad?! Das ist für mich die entscheidende Frage.

Gendergerechtigkeit oder Genderwahnsinn?

Sicher erinnern Sie sich noch an das absurde, vermeintlich gegenderte „Fahrspurende“ dieses Shitstorm-geplagten Politikers Ende Juli 2020? Er twittere auf einen Zeitungsbericht mit folgender Headline: A10 bei Michendorf: Frau übersieht Fahrspurende und fährt in Baustelle – zwei Verletzte

Sein Tweet löste einen veritablen Shitstorm, ja einen viralen Lachkrampf aus – zurecht:

 

Da treibt das allgegenwärtige Gendern ganz unabsichtlich skurrile und unterhaltsame Stilblüten… Aber einen ernsten und wahren Kern hatte diese Episode für mich trotzdem. Zeigt sie doch, wie hypersensibel viele Menschen mittlerweile auf das Gendern reagieren, wie extrem die Positionen der Gegner- wie Befürworter:innen sind und vor allem: Wie sehr sie von der eigentlichen Botschaft ablenken. Hätte der Politiker damals nicht nur die Überschrift überflogen, wäre ihm viel Hohn und Spott erspart geblieben.

Gendergerechtigkeit im Duden

Auch der Duden geht mit der Zeit, denn vor genau zwei Monaten am 8. Januar 2021 titelte meine Lokalzeitung auf Seite eins:

„Der DUDEN wird gendersensibel.“ Beim Lesen musste ich mich sofort fragen, ob ich es für eine gute Idee halte oder nicht, dass in der Online-Ausgabe des Duden nun 12.000 Berufs- und Funktionsbezeichnungen jeweils in der männlichen UND weiblichen Form aufgenommen werden. Die geschlechtsübergreifenden Berufs- und Funktionsbezeichnungen sollen damit der Vergangenheit angehören und für mehr Gendergerechtigkeit für alle Geschlechter sorgen. Ist doch vernünftig, oder nicht? Warum bin ich dann so zwiegespalten?

  • Zum einen, weil so 12.000 fast identische, doppelte Inhalte ohne inhaltlichen Mehrwert den Duden und das Internet aufblähen.
  • Zum anderen aber, weil die Duden-Redaktion dabei völlig übersieht, dass sie die als „divers“ bezeichneten Menschen hierbei nicht wirklich berücksichtigt, was wiederum ziemlich „gender-unsensibel“ ist, wie ich finde. Denn wenn das Wort „Mieter“ nur noch männliche Personen bezeichnet, das Wort „Mieterin“ die weiblichen Personen – wie bitteschön werden die diversen Menschen benannt, die sich keinem dieser beiden Geschlechter zugehörig fühlen? Die bislang genutzte Bezeichnung „Mieter (m/w/d)“ wird damit unmöglich gemacht. U.a. deshalb ist die Sprachwissenschaftlerin Ursula Bredel der Meinung:

„Die Festlegung des grammatischen Genus Maskulinum auf das natürliche Geschlecht entspricht nicht der Systematik des Deutschen.“

(Quelle: Spiegel online vom 14.02.2021: Kritik an Gender-Sprache – »Abenteuerliche Duden-Kreationen«, abgerufen am 07.03.2021)

Auch die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Leiss ist der Meinung, dass die Duden-Redaktion nur auf einer Zeitgeistwelle mitschwimme und dem Gender-Unsinn offenbar vollends verfallen sei (Quelle: General-Anzeiger Bonn, Seite 1 vom 08.01.2021).

Auch in die heuteshow vom 19. Februar 2021 hat der Duden es mit diesem Beschluss geschafft. Oliver Welke hat sich nicht nur über die schon länger bekannte und genutzte Neukreation „Gästin“ gewundert. Vor allem das eingeblendete Foto hat mich zum Schmunzeln gebracht: Der DUDEN, die DÜDIN stand dort auf den typisch gelben Titeln zu lesen… Herr Konrad Duden würde sich vermutlich im Grabe umdrehen. Immerhin kann man der Duden-Redaktion keinen Mangel an Kreativität vorwerfen – hoch lebe z. B. auch die neu aufgenommene Bösewichtin…

 

 

Name und korrekte Anrede – auch eine Form der Gendergerechtigkeit?

Ich habe vor genau 20 Jahren geheiratet, also zehn Jahre, nachdem es auch Frauen in Deutschland per Bundesverfassungsgerichts-Urteil vom 5. März 1991 endlich gestattet war, ihren Namen bei der Eheschließung zu behalten – oder auch Männer den Namen ihrer Frau annehmen durften (tatsächlich haben wir in unserem Freundeskreis einen Mann, der sich das getraut hat und auch heute noch glücklich verheiratet ist). Die Begründung: „Der Geburtsname eines Menschen ist Ausdruck der Individualität und Identität.“ Somit verstieß das bis dahin geltende Namensrecht gegen das Grundgesetz.

Name gleich Identität?

Meine Mutter hat in ihrem Leben vier Namen getragen, und ich habe mich oft gefragt, was das mit ihrer Identität gemacht hat. Sie hat dreimal geheiratet. Das hatte zur Folge, dass ich immer anders hieß als der Rest meiner Kernfamilie. Dass ich anders heiße als mein Bruder. Dass ich so heiße wie mein biologischer Vater, den ich aber nie wirklich kennengelernt habe, weil die Ehe nach meiner Geburt nur sechs Monate hielt. Das führte dazu, dass ich mich vom 2. Mann meiner Mutter, den ich sehr lieb hatte, tatsächlich nicht adoptieren lassen wollte, weil ich es schon damals als Kind sehr seltsam fand, dass ich plötzlich anders heißen sollte… Ohne dass ich es hätte erklären können, hielt ich an meinem Geburtsnamen fest, denn er war wichtig für mich, für mein Selbstverständnis, für meine Identität.

So habe ich – vielleicht folgerichtig – meinen Namen auch bei der standesamtlichen Trauung mit 34 Jahren nicht abgegeben – aus verschiedenen Gründen. Und dachte tatsächlich schon so oft, dass es nach so langer Zeit doch heute jedem und jeder bewusst sein sollte, dass Ehepartner:innen oder Kinder nicht mehr automatisch gleich heißen. Falsch gedacht!

Namentlich unsichtbar…

Auch heute passiert es mir übrigens noch viel noch zu oft, dass ich im Kontext von Dienstleistungen mit dem Namen meines Mannes angesprochen oder verabschiedet werde – selbst wenn mein Name explizit auf einem Formular angegeben ist oder ich mich persönlich/telefonisch mit meinem Namen gemeldet habe. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind ist es tatsächlich oft so, dass unser Gegenüber – selbst der Hausarzt, der uns beide schon lange kennt – meinen Namen ganz schnell wieder zu vergessen scheint. Zur Erinnerung: Das Urteil ist seit 30 (!) Jahren in Kraft! Da zeigt sich, dass alte Traditionen sehr lange brauchen, bis sie überwunden sind und sich der geltenden Rechtsauffassung „beugen“.

 

Die Macht der Bilder – Wo bleibt denn da die Gendergerechtigkeit?

Doch zurück zur Überschrift: Nicht nur Sprache prägt, sondern auch Bildsprache. Und so fällt mir durch die Auseinandersetzung mit dem Thema – nicht nur beim Schreiben, sondern auch im Alltag – immer öfter auf, wo tradierte Rollenbilder auch im 21. Jahrhundert noch immer ganz selbstverständlich vermittelt werden. Mein Empfinden und meine Selbstwahrnehmung stolpert mittlerweile immer öfter darüber – während ich mir bis vor ein paar Jahren eher wenig Gedanken darüber gemacht und und unsere Icons oder Verkehrsschilder ganz selbstverständlich hingenommen hatte. Denn auch hier geht es doch in erster Linie um die Botschaft, Bedeutung oder Regel – oder etwa nicht?!

Mitte Februar – voll im Flow des Bildsprache-Bootcamps und meine Umgebung sehr aufmerksam wahrnehmend – habe ich mich z. B. gefragt, warum auf diesen blau-weißen Fußgängerweg-Schildern IMMER nur eine Frau/Mutter mit Kleid ein Kind an der Hand führt – aber NIE ein Mann/Vater?! Und ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Icons auf den Radwegen IMMER Herrenräder mit Querstange sind und NIE Damenräder oder Unisex-Räder?! Streng genommen darf man sich hier schon mal humoristisch fragen, wann auch Fußgänger den Fußgängerinnenweg benutzen dürfen – oder wann auch für Damenräder endlich der Herrenradweg freigegeben wird? Wie gesagt, ich will es gar nicht übertreiben, aber die Tatsache, dass es mir auffällt, und dass eine neue Schablone zur Herstellung neuer Schilder sicher nicht viel mehr kosten würde, ist doch erwähnenswert, oder nicht?

 

 

Gendergerechtigkeit um jeden Preis?

Richtig erschüttert war ich, als ich Mitte Februar diese Meldung in den Medien las: „Australische Akademiker wollen die Begriffe ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ abschaffen“ Wie bitte??? An der Australian National University (ANU) in Canberra enthält ein Handbuch für Lehrende des Gender Institute neue Formulierungen für tradierte Bezeichnungen. So sollen nicht länger die Worte „Mutter“ und „Vater“ verwendet werden. Stattdessen soll in Zukunft der geschlechtsneutrale Begriff „Austragendes Elternteil“ für Mutter angewendet und der Vater als „Nicht-gebärendes Elternteil“ bezeichnet werden. Auch für das Stillen gibt es eine Empfehlung – aus „breastfeeding“ soll „chestfeeding“ werden – das ist im deutschen Wort „Stillen“ übrigens gar nicht so einfach abzubilden. Und die „Muttermilch“ wird im Handbuch zur „Menschlichen Milch“ oder „Elternmilch“. Mit diesen Neuerungen sollen Eltern der LGBTIQ+-Community nicht länger benachteiligt werden (Quelle: Stern, abgerufen am 07.03.2021).

Ist das nötig oder kann das weg?

Das geht mir persönlich echt zu weit! Da sind wir gefühlt nicht mehr weit entfernt vom Begriff „Gebärmaschine“ statt Mutter – es führt meiner Meinung nach zu einer unpersönlichen Technisierung der Sprache, die ich ich so definitiv ablehne – bei allem Verständnis für die Notwendigkeit des Genderns. Was wird denn aus dem Begriff stiefmütterlich, wenn es das Wort Mutter bald nicht mehr geben darf? Und was aus unserer guten alten Muttersprache?

Und überhaupt: Sprachliche Begrifflichkeiten – egal ob Neuschöpfungen oder gewachsene – sollten meiner Ansicht nach nicht die allerkleinste Minderheit abbilden, sondern die gesellschaftlichen Gegebenheiten und Entwicklungen insgesamt widerspiegeln. Und da gibt es tatsächlich bis jetzt noch immer viel mehr natürliche Mütter, Väter und Stillende als Austragende oder Nicht-gebärende Elternteile… Falls jemand von Ihnen sich zur LGBTIQ+-Community zählt und hier mitliest: Bitte schreiben Sie mir, wie Sie persönlich zu diesen Begrifflichkeiten stehen!

 

 

Wider die Pejorisierung der Sprache

Der Begriff Pejorisierung bedeutet in der Linguistik, dass mit der Zeit eine Bedeutungsverschlechterung eines Wortes stattfindet. Für mich ist das extreme Gendern – wie es die australischen Wissenschaftler:innen empfehlen – tatsächlich in vielen Fällen ein solches Beispiel. Das Gendern führt oftmals nicht nur zu einer Bedeutungsverschlechterung, sondern auch zu einer Entemotionalisierung – und das ist für die Sprache der „Dichter und Denker“ eine Katastrophe. Ich wünsche mir, dass uns die Schönheit der deutschen Sprache erhalten bleibt, dass sie gerecht und dennoch bedeutsam alle Eventualitäten abdeckt, dass sie sich dynamsch entwickelt, aber nicht anbiedert. Dass man ihre historische Entwicklung weiterhin erkennen kann und sie nicht vollends akademisiert oder atomisiert.

Vom frouwelin zum Fräulein

Am Beispiel des Wortes „Frau“ kann man eine solche soziale Abwertung gut erkennen: Noch im Mittelalter war es die Anrede für adelige Frauen. Im 17. Jahrhundert wurde diese Anrede vom Bürgertum übernommen, sodass der Adel auf die Bezeichnung Dame auswich, die ihren Ursprung im lateinischen Domina (Hausherrin) hat. Das Wort „Fräulein“ ist ein weiteres Beispiel: Im Althochdeutschen stand frouwelin für „junge Herrin“, abwertend entwickelte es sich zu vröuwelin, das Mädchen niederen Standes oder Prostituierte bezeichnete. Ab Ende des 19 Jahrhunderts wurden unverheiratete und berufstätige Frauen Fräulein genannt – und wurden mit der Eheschließung zur Frau ohne Recht auf eine Berufsausübung, wenn der Ehemann es nicht gestattete. Erst am 16. Februar 1971 wurde die Bezeichnung im Amtsdeutsch abgeschafft… (Quelle: ZDFKultur @aroundtheworld, Instagram-Beitrag vom 06.03.2021)

Klischee Hausfrau und Mutter – eine kleine Anekdote zum Schluss

Eine niedliche, aber dennoch sehr sprechende Anekdote fällt mir gerade beim Schreiben auch wieder ein: Meine Freundin führte vor vielen Jahren eine Wochenendbeziehung, weil ihr Mann in der Woche in einer anderen Stadt arbeitete. Sie erzählte mir damals folgende Geschichte: Am Wochenende war die Familie wieder zu dritt zu Hause und mein kleiner Patensohn wollte mit dem Papa spielen. Der antwortete, dass er erst noch etwas aufräumen müsse. Mein Patenkind erwiderte darauf wie aus der Pistole geschossen: „Ach das musst du doch nicht, das macht doch die Mama!“

Weil sein Vater damals immer nur am Wochenende zu Hause war und diese wertvolle Familienzeit möglichst mit schönen Dingen statt Alltagspflichten gefüllt wurde, hatte sich die Wahrnehmung des Jungen, er war damals vielleicht 3 Jahre alt, entsprechend geprägt. So schnell kann es gehen… Zur Ehrenrettung des Vaters muss ich ergänzen, dass er sich tatsächlich nie vor seinen „Haushaltspflichten“ gedrückt hatte und mein heute längst erwachsener und sehr patenter Patensohn auch überall mit anfasst…

Gendern – ja, nein, wie stark?

Ein facettenreiches Thema, zu dem es sicherlich nie nur eine Meinung geben wird – und zu dem auch ich noch nicht zu meiner finalen Haltung gefunden habe. Aber da Sprache ein dynamisches Konstrukt ist, muss es ja auch gar nicht final sein, oder?

Was ist aktuell Ihre Meinung? Schreiben Sie mir gerne einen Kommentar – oder noch besser: Nehmen Sie gerne an meiner aktuellen Blogparade zum Thema Gendergerechtigkeit in der Sprache teil, zu der ich am 8. März 2021 anlässlich des Frauentags aufgerufen habe – sie läuft bis zum 26. März 2021 um 23.59 Uhr. Ich freue mich über jede Rückmeldung!



Nicole Isermann

Nicole Isermann steht für Text, Redaktion, Content und PR mit Herz und Haltung! Mit Einfühlungsvermögen verfasst und bearbeitet die Wahlbonnerin Texte, die ankommen, berühren und Mehrwert liefern - am liebsten für Soloselbstständige mit echtem Herzens-Business. Ihre Lieblingsthemen sind Essen & Trinken, Lesen & Schreiben, Reisen & Kultur, Natur & Umwelt oder Engagement & Lernen. In den kreativen Schreibfluss findet Nicole u. a. mit ihren kreativen Elfchen und Zelfchen. Wenn sie nicht schreibt, engagiert sie sich ehrenamtlich für Kultur-, Kirchen- und soziale Projekte.

2 Gedanken zu „Sprache prägt. Bildsprache auch. Brauchen wir (noch) mehr Gendergerechtigkeit?

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