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Was ist ein Schachtelsatz – und 6 Gründe, die gegen ihn sprechen

Heute ist der Tag des Schachtelsatzes. Immer am 25. Februar wird dieses interessanten Phänomens gedacht.

Wissenschaftlich nennt man den Schachtelsatz auch Hypotaxe, landläufig ist er als Bandwurmsatz bekannt..

Weil mir leicht verständliches und dennoch gutes Schreiben ein Anliegen ist, nehme ich diesen „kuriosen Feiertag“ zum Anlass, dir möglichst ohne Schachtelsätze zu erklären, was selbiger ist und welche Gründe es dagegen einzuwenden gibt.

Was ist ein Schachtelsatz?

Schachtelsätze sind Hauptsätze mit Nebensätzen zweiten, dritten oder gar vierten Grades.

6 Gründe, die gegen den Schachtelsatz sprechen

  1. Mehr als zwei Kommas pro Satz, diese reichen i. d. R. für einen eingeschobenen Nebensatz, sind zu viel. Danach wird die Auffassungsgabe, zumindest beim gesprochenen Wort, schon strapaziert. Hast du diese beiden Satzbeisspiele genau gelesen? Dann weißt du, wie es geht.
  2. Als lesender oder zuhörender Mensch verliert man bei Schachtelsätzen schnell die Zusammenhänge. Denn im Deutschen haben wir im Vergleich zu anderen Sprachen einen großen Nachteil: Das Verb steht am Schluss des Satzes. Man muss deshalb viele Informationen im Kopf behalten, um schlussendlich zu erfahren, um was es geht.
  3. Literaten oder Kritiker beklagen, dass kurze Sätze abgehackt wirken und dadurch die „Schönheit der deutschen  Sprache“ leide: In der Literatur kann der Schachtelsatz ein wunderbares Stilmittel sein.
  4. Wenn du jedoch deine Botschaft, deine Geschichte, dein Produkt oder deine Dienstleistung verständlich beschreiben möchtest, solltest du es sprachlich klar und übersichtlich halten. Leicht verständliche Hauptsätze – mit pointierten, notwendigen Nebensätzen wo nötig – sind immer die bessere Wahl. Im Marketing findest du überwiegend Sätze mit weniger als zehn Wörtern – die meisten erfolgreichen Slogans sind noch kürzer:  “Merci, dass es dich gibt”, Wir lieben Lebensmittel“, „Freude durch fahren“ oder “Red Bull verleiht Flügel”
  5. Ein Athener Staatsmann und Lyriker soll einen Satz mit etwa 4500 Silben verfasst haben. In normaler Geschwindigkeit kann man ca. 350 Silben pro Minute sprechen. In diesem Fall dauerte das Vorlesen dieses einzigen Satzes zwölf Minuten – viel zu viel für die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne!
  6. Für alle mündlich und live vorgetragenen Texte, also Reden, Podiumsdiskussionen, Wahlkampfauftritte, Radio- oder Fernsehberichte, gilt: Schachtelsätze sind kontraproduktiv, denn anders als beim Lesen kann man nicht „zurückhören“. Laut dem deutschen Linguist Erich Straßner sind 7 bis 14 Wörter die Obergrenze für die Verständlichkeit gesprochener Sätze. Bei der Deutschen Presseagentur (dpa) z. B. gelten neun Wörter als ideal. Kontrolliere doch mal, wie viele Wörter deine Sätze so enthalten …

Beispiele für Schachtelsätze

Foto: Canva
  • Der längste Satz in deutscher Sprache wird derzeit dem österreichischen Schriftsteller Hermann Broch zugeschrieben. In seinem 1952 veröffentlichten Roman „Der Tod des Vergils“  gibt es einen Satz, der aus 1077 Wörtern besteht.
  • Auch Autor Thomas Mann formuliert gerne Sätze, die nicht selten über eine ganze Seite gehen – wenn du „Die Budenbrooks“ gelesen hadt, kennst du diese langen Sätze. In „Joseph und die Brüder“ schrieb Mann einen Satz mit 347 Wörtern.
  • Ein Meister des  Schachtelsatzes war auch der Schriftsteller  Heinrich von Kleist: „Littegarde stand bleich wie Kreide, vom Boden auf; sie bat, indem sie seinen Mißhandlungen schweigend auswich, ihr wenigstens zur Anordnung der erforderten Abreise die nötige Zeit zu lassen; doch Rudolf antwortete weiter nichts, als, vor Wut schäumend: hinaus, aus dem Schloß! dergestalt, daß da er auf seine eigne Frau, die ihm mit der Bitte um Schonung und Menschlichkeit, in den Weg trat, nicht hörte, und Sie, durch einen Stoß mit dem Griff des Schwerts, der ihr das Blut fließen machte, rasend auf die Seite warf, die unglückliche Littegarde, mehr tot als lebendig, das Zimmer verließ: sie wankte, von den Blicken der gemeinen Menge umstellt, über den Hofraum der Schloßpforte zu, wo Rudolf ihr ein Bündel mit Wäsche, wozu er einiges Geld legte, hinausreichen ließ, und selbst hinter ihr, unter Flüchen und Verwünschungen, die Torflügel verschloß.“ So lautet ein Satz in der Erzählung“ Der Zweikampf“ – alleine der erzählt schon eine ganze Geschichte, oder?!
  • Auch im „Juristen-, Amts- oder Wissenschafts-Jargon“ verfasste Texte, Gesetze oder Urteile enthalten neben Fachbegriffen oft viel zu lange und gänzlich unverständliche Sätze. Selbst Muttersprachler*innen brauchen dafür eine Übersetzung. Und das ist doch irgendwie sinnlos, oder?!
  • Die Presse ist ebenfalls ein gutes Beispiel, wenn es um die politische Berichterstattung geht:  „Die Versetzung und Beförderung des deutschen Verfassungsschutzchefs Massen, der schon seit Jahren angeprangert wird und jetzt wegen einer als tendenziös bezeichneten Erklärung nach den Ereignissen von Chemnitz am 1. September nicht nur von der SPD und den Grünen, sondern auch von wichtigen Politikern der CDU kritisiert worden war und nach mehreren Krisensitzungen zwischen Merkel, Nahles und Seehofer von der Leitung des Verfassungsschutzes entbunden, wurde, ist von der SPD als ‚Desaster’ und ‚Skandal’ bezeichnet worden.“
  • Am 17. Juni 2013 druckte die „FAZ“ eine Rezension zur Trauerfeier von Walter Jens, verfasst von Literaturkritiker Gerhard Stadelmaier – Der Satz hatte 208 Wörter: „Abgesehen davon, dass Jens im Jahr 1998 zu Mozarts „Requiem“ (KV 626) Zwischentexte, Reflexionen schrieb, die den ewigen protestantischen Aufklärer Jens und Auf-Verbesserung-der-Welt-Hoffer als doch etwas leichtfertigen Um- und Gegendeuter und Verharmloser der gewaltigen katholischen Totenmesse zeigt, die das Jüngste Gericht und die Flammen der Verdammnis und die Sühne für alle Sünden und die Gnadenlosigkeit eines Gottes beschwört, bei dem allein die unberechenbare Gnade liegt; abgesehen auch davon, dass Jens im Jahr 2006, als er zur „Reqiem“-Musik seine „Requiem“-Gedanken vortrug, plötzlich das Vermögen, etwas vorzulesen, verließ, er stockte und stotterte und sich so seine Demenz, an der er über die Jahre ohne Sprache und Gedächtnis hinweg verdämmerte, offenbarte; abgesehen auch davon, dass die Stiftskirche, in der einst die Universität Tübingen gegründet wurde und die sozusagen deren erster öffentlicher Raum war, zum Tübinger Öffentlichkeitsspieler- und Nutzer Walter Jens doch wunderbar passt: Es ist ein seltsam Empfinden, wenn jenseits aller Rhetorik und jedes Meinens und Polemisierens und Kritisierens, jedes Forschens und Ergründens und jeder Buchgelehrsamkeit ein Satz in die vollbesetzte Kirche fährt: „Liber scriptus proferetur“ (Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen jede Schuld auf Erdentagen), wo sich dann „solvet saeclum in favilla“ (das Weltall sich entzündet) und „quantus tremor est futurus“ (ein Graus wird sein und Zagen).“
  • Die Verfasser des Johannes-Evangeliums wussten damals schon, dass kurze Sätze verständlicher sind. Ihr Evangelium weist durchschnittlich 17 Wörter pro Satz auf.

Hier kannst du noch mehr über die ideale Satzlänge lesen.

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Nicole Isermann

Nicole Isermann steht für Text, Redaktion, Content und PR mit Herz und Haltung! Mit Einfühlungsvermögen verfasst und bearbeitet die Wahlbonnerin Texte, die ankommen, berühren und Mehrwert liefern - am liebsten für Soloselbstständige mit echtem Herzens-Business. Ihre Lieblingsthemen sind Essen & Trinken, Lesen & Schreiben, Reisen & Kultur, Natur & Umwelt oder Engagement & Lernen. In den kreativen Schreibfluss findet Nicole u. a. mit ihren kreativen Elfchen und Zelfchen. Wenn sie nicht schreibt, engagiert sie sich ehrenamtlich für Kultur-, Kirchen- und soziale Projekte.

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