GendernInterview

Fokus Kommunikation – 5 Fragen zum Gendern an Oliver: Texter, Mann, queer

Das Gendern beschäftigt mich fast täglich, denn beim Schreiben und Sprechen, egal ob beruflich oder privat, bemühe ich mich, immer zu gendern. Nicht immer perfekt, nicht immer korrekt, aber durch die tägliche Praxis ist mir, selbst wenn ich es mal vergesse, bewusst, dass es außer Männlein und Weiblein viele weitere Indentitäten gibt, die ich berücksichtigen und eben nicht nur mitmeinen möchte. Gar nicht so einfach. Aber absolut notwendig, wie ich finde.

Grund genug, einmal andere Menschen zu fragen, wie sie es mit dem Gendern halten und warum. Sehr spannende Einsichten hat mir Oliver Jung-Kostick verraten. Als Dienstleister rund um Wort und Bild hat er wie ich täglich mit dem Gendern zu tun und erzählt mir unter der Überschrift „Du liebe/r Zeit:*In/-in!!! Gendern! Kreisch! – Warum ich es tue und gar kein Problem damit habe“ folgendes, bevor ich ihn dazu weiter befrage:

Du liebe/r Zeit:*In/-in!!! Gendern! Kreisch! – Warum ich es tue und gar kein Problem damit habe

Wenn ich Ratgebertexte für die Zeitung verfasse, muss ich mit * gendern. Wenn ich Broschüren- und Chroniktexte für den Verlag schreibe, darf ich nicht gendern – doch je nach Produkt ist immerhin etwa „Bürgerinnen und Bürger“ okay – Einmal sogar mit „/-in“ …. Wow!!! Welch zeitgemäße, hippe Liberalität!!! Oft stammen die Nuklei dieser Texte von Anzeigenkunden, die ihrerseits wiederum alle Arten von Gendern und Nicht-Gendern verwenden und teilweise sehr darauf erpicht sind, dass ihre Auffassung zum Thema umgesetzt wird (was wegen der Einheitlichkeit des Endproduktes nicht geht).  

Wenn ich lektoriere, lasse ich das Thema außen vor – denn HerrInnen des Textes bleiben die jeweiligen AutorInnen, und die sind da eher nicht so begeistert. Wenn ich selbst belletristisch schreibe, kommt Gendern eher nicht vor. Schreibe ich aber Sach- bzw. Fachtexte, versuche ich, das Gendern harmonisch einzubauen. Was für ein Durcheinander!   Aber ich stelle mich dem gerne …

Angst vor Veränderung?

Denn mir ist in den letzten Jahren (eher: Jahrzehnten) immer klarer geworden, dass Frauen ruhig deutlich mitgemeint sein dürfen – ohne komplizierte interne Übersetzungsprozesse (so à la „HEY – Wenn da ‚Leser‘ steht, sind auch ‚Leserinnen‘ und alle, die sich nicht konventionell definieren, mitgemeint“). Es hat etwas von abgefeuerter Signalmunition, ein großes, leuchtendes SEHT HER! Ich mache mir Gedanken! Ich habe keine Angst vor Veränderung!  

Natürlich kenne ich die Argumentation der sprachlichen Seite zum generischen Maskulinum – und natürlich ist sie wichtig und darf nicht einfach ignoriert werden. Aber sie sollte auch nicht in ihrer Bedeutung überbewertet werden. Sprache ist für die Menschen da und nicht etwa umgekehrt.

Texter – Mann – Queer: Auch ich war lange nicht oder nur negativ sichtbar

Außerdem erinnert mich die ganze Thematik immer mehr an meine jahrzehntelange Unsichtbarkeit als schwuler Mann. Zum Beispiel in rechtlicher Hinsicht: meine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft wurde ja bis kurz vor der Gleichstellung nur wahrgenommen, wenn es für mich und meinen Partner negativ war. Davor wurde sie überhaupt nicht rechtlich anerkannt – nicht mal im negativen Sinne. Vor der Akzeptanz war es also erst mal nötig, sich über eine gehässige, bösartige (Teil-)Akzeptanz an das Thema heranzuarbeiten? War das die Botschaft und können wir als Gesellschaft etwas für die Entwicklung unseres Umgangs mit dem Thema „Gendern“ ableiten? Ich wünsche mir in vielen Bereichen mehr Sichtbarkeit für Themen, Menschen, Zusammenhänge … Von daher sind Wahrnehmung, Sichtbarkeit und das Zeigen des Wahrgenommenen, Sichtbaren eine Herzensangelegenheit für mich, auch wenn ich als Mann ja mit der traditionellen Sprachverwendung auf der Gewinnerseite stehe  …. (und nicht auf der „GewinnerInnenseite“).

Foto: Oliver Jung-Kostick

Generisches Femininum? Da fühle ich mich auch nicht mitgemeint!

Und als ich letztens Texte auf einer Universitätswebsite las, wo alles in der weiblichen Form ausgedrückt und Männer explizit „mitgemeint“ waren, spürte ich deutlich meine Empörung … Denn ich fühlte mich von dieser Form eben NICHT „mitgemeint“. Oft ist es ja ein Perspektivwechsel, der zu Erkenntnissen führt, obwohl das in meinem Fall eigentlich schon passiert war. Das Erlebnis verdeutlichte mir nur noch einmal mehr meine Beweggründe, dort zu gendern, wo es passt.

Warum diese Wut, wenn es ums Gendern geht?

Grausam finde ich diese unglaubliche Wut, die an dem Thema andockt. Bei dummen alten weißen Männern, die auch jung und/oder intensiver pigmentiert sein können, wundert sie mich nicht wirklich. Absolut verstörend ist für mich aber, wie viele Frauen (!) sich darüber aufregen, dass unter anderem FRAUEN wahrnehmbarer gemacht werden sollen … Für mich ist der Findungsprozess, wie wir gendern, noch lange nicht abgeschlossen. Ähnlich sieht es der Rat für deutsche Rechtschreibung. Es könnte ja auch so ausgehen, dass wir zu den altbekannten Formen zurückgehen – und doch nicht wirklich „zurück“: Weil wir unser Denken geändert haben und jetzt wirklich ALLE Menschen meinen, wenn wir Allgemeines sagen. Ohne die komplizierten internen Übersetzungsprozesse beim Lesen, die ich oben angesprochen habe.

Sprachwandel ist gut! Kein Grund für Drama …

Schließlich haben Wörter über die Jahrzehnte und Jahrhunderte immer wieder ihre Bedeutungen geändert – von der „Dirne“ angefangen über „blöde“ und und und. Nur noch mal zur Erinnerung: Die Welt hörte jeweils nicht auf, sich zu drehen … Veränderungen führten nicht zu Hungersnot, Teuerung oder Heuschreckenplagen biblischen Ausmaßes. Vielleicht ein Appell, das eigene Drama-Niveau wegen des Genderns noch einmal in besonnenerer Stimmung zu revidieren und sich vielleicht dem Gedanken zu öffnen, dass Pluralität nicht das Ende der Welt ist.  

Ich bin gespannt, wohin sich das Thema entwickelt – und ob ich für meine AuftraggeberInnen noch mehr, vielleicht andere Formen des Genderns verwenden muss. Aber: Ich sehe das eher spielerisch. Als Herausforderung. Jedoch als eine, die mich nicht ÜBERfordert, sondern nur fordert und damit trainiert, beweglich zu bleiben.    

5 Fragen an Oliver Jung-Kostick

Eigentlich sollte der vorhergehende Text von Oliver nur eine kurze Einleitung werden und zu meinen Fragen an ihn überleiten – doch das Thema hat ihn spontan zu diesen – wie ich finde richtig spannenden – Reflexionen motiviert. Dennoch habe ich noch ein paar ergänzende Fragen an Oliver:  

1. Wie genau genderst du selbst und warum genau so?

Ich gendere mit Binnen-I. Es hat zwar den Nachteil des „Angehängten“, ABER durch das groß geschriebene „I“ zeigt das für mich, dass hier nicht nur etwas/jemand „unter ferner liefen“ quasi „aadabei“ ist. Mit „harmonisch“ meine ich, dass ich auf bestimmte Satzkonstruktionen verzichte, weil sie sonst wie das typografische Texas-Kettensägenmassaker rüberkämen. Beispiel: „der*die Mitarbeiter*in, welche*r gerne mit ihre*r*/seinem Kolleg*in/en spricht …“ Das wäre einfach furchtbar. Das geht auch anders! Neutrale Formulierungen wie „Studierende“ vermeide ich meist – wenn zu gestelzt. Zusätzlich kommt ein Hinweis dazu, dass ich ausdrücklich auch alle meine, die sich nicht-binär definieren (siehe auch Frage 2).

2. Inwieweit versuchst du, beim Gendern tatsächlich alle Aspekte zu berücksichtigen – also auch nicht-binäre Menschen barrierefrei einzubeziehen? Welche Form erscheint dir da die sinnvollste?

Meine eigene Meinungsfindung zur grafischen Inklusion nicht-binärer Menschen ist noch nicht abgeschlossen – von daher bin ich mir der Ironie durchaus bewusst, dass ich selbst in diesem Punkt durch das Binnen-I (momentan noch) „mitmeine“. Aber als Autor eigener Texte mache grundsätzlich nie etwas, hinter dem ich nicht hundertprozentig stehe. Bei den Auftragstexten wirke ich zusammen mit einer freiberuflichen Kollegin auf den Verlag ein, doch bitte (!) eine zeitgemäße Antwort auf die Gender-Thematik verbindlich zu machen.

3. Wäre das generische Femininum trotz deiner eigenen Empfindungen für dich ein akzeptabler Weg, um die „ewig Gestrigen“ von der Notwendigkeit des Genderns zu überzeugen und ein größeres Bewusstsein durch sprachlichen Wandel zu schaffen?

Ewig Gestrige überzeugt niemand – nicht mal mit einem Blattschuss. Ich weiß auch nicht, ob ich so auf Missionieren stehe (egal, um was es geht). Lasst uns doch mit den Füßen … ääh … Buchstaben/Zeichen abstimmen! Sollen die Überforderten doch einfach nicht gendern – ich sehe das als freundliche, frühzeitige Warnung für mich, lieber Abstand zu halten.

4. Was denkst du, sind die Gründe, dass das Gendern oft eine solche „Wut“ – zumindest aber sehr starke negative Emotionen – auslöst, und das insbesondere auch bei Frauen? Meinst du, dass es ein männliches und ein weibliches und ein diverses Gendern gibt?

Hm … ich denke, es ist erst einmal die Angst vor Kontrollverlust. Menschen stehen eher nicht so auf Veränderungen – nicht mal auf positive Veränderungen. Zweitens ist es dieser Schuld-Charakter, der momentan bei allem, wirklich ALLEM wie eine Art gesellschaftliches Glyphosat umfassend vergiftet. Statt immer nur anzuklagen, wäre vielleicht ein freundliches Werben durch Appelle an Empathie besser. Ich lese inzwischen ja schon Artikel über Avocados, die mich mit negativen Gefühlen fluten („10 Dinge, die du schon immer mit Avocados falsch gemacht hast!“).

Warum Frauen oft so besonders aggressiv und bösartig auf etwas reagieren, das ja eigentlich zu ihrem Vorteil wäre, weiß ich natürlich nicht. Ich vermute – und es ist eine absolut laienhafte, wilde Vermutung! – dass viele Frauen die Abwertung des Weiblichen so internalisiert haben, dass sie durch ihre „Solidarität“ mit Männern, die am „bewährten“ System festhalten, zum Ausdruck bringen wollen, dass sie zwar – leider! – Frauen sind, aber Gott (sic!) sei Dank keine von diesen „bösen“ Frauen, die Forderungen stellen, Veränderung wollen … sondern gute Frauen, nein, eigentlich „liebe kleine Mädchen“, die Papi umwerben, um seiner Liebe würdig zu sein …

Ich weiß nicht, ob es verschiedenes Gendern gibt – aber womöglich ist das so. Je nachdem, wer jeweils wie weit bei dem Thema geht.

5. Wenn du in deine Sprach- und Texter-Glaskugel schaust – in wie vielen Jahren denkst du, wird es keine Diskussionen mehr über das Gendern geben und warum?

Keine Ahnung – die Gegenwehr ist stark. Sieht man ja auch bei der jetzt wieder ansteigenden Gewalt gegen alles, was nicht Hetero ist. Ich werde das Thema Gendern weiter für mich bearbeiten, meine Lösung zur Inklusion nicht-binärer Menschen finden – und dann praktizieren.

Über Oliver Jung-Kostick

Oliver Jung-Kostick, geboren 1963 im Rheinland, begann früh, zu malen und zu schreiben. Heute lebt der Dienstleister rund um Text und Bild in Oberfranken und ist als Autor, Lektor, Ghostwriter, Texter und Redakteur tätig.
Oliver Jung-Kostick – Diplom-Jurist univ.
Tel.: 09571-9739166
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Elegant gendern – das geht! Ich zeige dir, wie

Wenn du auch eine Haltung für oder auch gegen das Gendern hast oder weitere gute Tipps und Beispiele zum Gendern kennst, freue ich mich auf deinen Kommentar hier unter meinem Blogbeitrag. Hier findest du alles rund ums Gendern.

Wenn du wie ich gerne möglichst lesbar und elegant gendern möchtest, habe ich ein PDF mit 7 guten Tipps für dich:

Hier findest du alle meine Interviews auf meinem Blog.

Nicole Isermann

Nicole Isermann steht für Text, Redaktion, Content und PR mit Herz und Haltung! Mit Einfühlungsvermögen verfasst und bearbeitet die Wahlbonnerin Texte, die ankommen, berühren und Mehrwert liefern - am liebsten für Soloselbstständige mit echtem Herzens-Business. Ihre Lieblingsthemen sind Essen & Trinken, Lesen & Schreiben, Reisen & Kultur, Natur & Umwelt oder Engagement & Lernen. In den kreativen Schreibfluss findet Nicole u. a. mit ihren kreativen Elfchen und Zelfchen. Wenn sie nicht schreibt, engagiert sie sich ehrenamtlich für Kultur-, Kirchen- und soziale Projekte.

3 Gedanken zu „Fokus Kommunikation – 5 Fragen zum Gendern an Oliver: Texter, Mann, queer

  • Was für ein spannender Artikel mit Interview zur Genderthematik, lieber Oliver und liebe Nicole!

    Ich finde, dein Blick samt Erkenntnisse, lieber Oliver, bereichert die Gender-Diskussion um weitere Aspekte! Deine Vermutung, warum gerade von Frauen so viel Gegenwind kommt, finde ich spannend, sehr plausibel – und traurig zugleich.

    Ich bin übrigens Olivers freiberufliche Kollegin, die mit ihm gemeinsam derzeit auf den Verlag (unser beider Auftraggeber) einwirkt, „doch bitte (!) eine zeitgemäße Antwort auf die Gender-Thematik verbindlich zu machen.“ 😊

    Gendern ist, wie alle Reformen, ein Prozess, und er hat gerade erst begonnen!

    Liebe Grüße
    Manuela

    Antwort
    • Vielen Dank für deine schöne Rückmeldung, liebe Manuela. Ist ja lustig, dass du Oliver kennst und er dich auch noch zitiert im Interview … Ich habe ihn erst durch dieses Interview kennengelernt. Die Welt – eine Erbse …
      Ich melde mich wieder bei dir, wenn ich weitere Interviews führe – du bis vorgemerkt 🙂
      Liebe Grüße von
      Nicole

      Antwort
  • Pingback: KW34/2023: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society

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