„Notieren, Notizen machen, Notiz nehmen, sich verzetteln“ – eine Rezension
Kürzlich habe ich eine wunderbare Lesung mit diesem Titel besucht, über die ich heute berichten möchte. Die Reihe „Zu Gast auf dem Sofa“ findet regelmäßig in der Hochschul- und Kreisbibliothek Bonn-Rhein-Sieg am Campus in Sankt Augustin statt. Ich bin seit dem Ende der Pandemie zum 2. Mal dabei gewesen.
Haarkötter und Ortheil auf dem Sofa
Diesmal waren Hektor Haarkötter und Hanns-Josef Ortheil zu Gast. Letzteren wollte ich immer schon mal live erleben, denn ich verehre ihn schon lange wegen seiner besonderen Lebensgeschichte und seiner tollen Bücher über das Schreiben. Zum Beispiel schildert er in „Der Stift und das Papier“ auf berührende Weise seine Kindheit im Westerwald, sein Stummsein in der Kindheit und sein Schreibenlernen.
Doch genauso spannend fand ich das Thema der Lesung. Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler und Professor Hektor Haarkötter hat ein Epos veröffentlicht über nichts geringeres als den Notizzettel. Über diese kleinste Form des Schreibens lässt sich nicht nur eine wissenschaftliche Abhandlung zur Kulturgeschichte der Notizen schreiben, sondern Haarkötter gelang es zudem, diese Geschichte mit Musik und spannenden Fakten zum Leben zu erwecken. Aus eigenen Notizzetteln hat er Teile eines unveröffentlichten Kapitels vortragen. Darin geht es um die Perspektive auf musikalische Noten als Notizen. Oder die Rolle, die Noten und Notizzettel in der Welt der Musik haben – von Klassik bis Jazz!
Wer denkt, dass der Blick auf den Notizzettel profan ist, irrt gewaltig. Groß oder klein, gelb, pink oder weiß, liniert, kariert oder aus Altpapier – es gab viele spannende Verbindungen zu entdecken:
- zwischen Notaten, Notizen und Noten.
- zwischen philosophischen Zettelkästen von Luhmann und dem Einkaufszettel von Beethoven.
- zwischen dem Zeitalter von Manuskript und Typoskript, also dem Verbreiten der von Hand geschriebenen Bücher und dem Wandel durch Gutenbergs Buchdruck.
- zwischen den Anfängen der Notizen auf Stein bis zur Schiefertafel in der Schule.
- zwischen geeigneten Papierformaten von mini bis großformatig, um Gedanken und Ideen fließen lassen und anarchisch notieren zu können.
- Zwischen der maximalen Länge einer Notiz und dem Beginn eines Textes – gibt es da eine Maßeinheit? Vielleicht ja: bis zu 1,5 Seiten kann noch als Notiz gelten, danach wird sie zum Text, so Ortheil.
- zwischen literarischen Notizen und perspektivisch überraschenden Miniaturen, die Ortheil z. B. von Fitzgerald oder Peter Wehrli zum besten gab.
- zwischen genau notierten Beobachtungen eines Autors und den amüsanten Charakterisierungen seiner Mitmenschen in 50 literarischen Miniaturen von Ortheil.
Das Fazit des Abends lautete: „Wir schreiben Notizen nicht, um uns zu erinnern, sondern um zu vergessen.“ So geht die „Externalisierung des Denkens“ einher mit Notaten.
Wie stehst du zur Notiz? Schreibst du von Hand auf Papier, in ein Notizbuch oder tippst du sie digital? Wie sortierst du deine Notizen, wie findest du sie wieder?
Schreib mir gerne in die Kommentare!
Podcast-Tipp
Im Podcast „Bildungsfenster“ der Bibliothek gibt Hektor Haarkötter ein Interview zu seinem Buch, unbedingt mal auf YouTube oder Spotify reinhören: https://youtu.be/mMlUr-JMtUY
Wenn es mehr solche lebendig vortragenden und motivierenden Lehrenden an Schulen und Universitäten gäbe, wäre die Vermittlung akademischen Wissens so spannend wie die fesselnden Netflix-Serien.
Zum Buch
„Notizzettel: Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert“.
Zum Hintergrund dieses Beitrags
Dieser Beitrag ist #01/10 und Teil der Blogdekade im Februar 2023 von The Content Society, die vom 11. bis 20.02.2023 läuft. Täglich werde ich 10 Tage lang zusammen mit vielen anderen Bloggenden einen Beitrag rund um das SCHREIBEN veröffentlichen oder überarbeiten. Mach gerne auch mit!
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